Handelsabkommen TTIP

Europa ist Freiheit. Entscheidungsfreiheit. Durch das direkt gewählte
Europaparlament setzen Bürgerinnen und Bürger der EU dem Binnenmarkt
Regeln: gegen giftige Chemie und Gentechnik im Essen. Für mehr
Erneuerbare Energien und Banken, die endlich den Menschen dienen. Das
ist ein Gewinn dank der Vereinigung Europas. Denn Deutschland ist im
globalen Maßstab inzwischen zu klein für eine soziale Marktwirtschaft.
Große Konzerne können einzelne Länder gegeneinander ausspielen. Auch
die Banken haben das in der Krise oft getan. Nur gemeinsam kann die EU
die Bedingungen diktieren. Die Transatlantische Handels- und
Investitionspartnerschaft, kurz TTIP, wird bisher vor allem für Chlor-
desinfizierte Hühnchen, Genmais und Rindfleisch voller Hormone
kritisiert. Auch wir wollen gesundes Essen, das sind richtige
Argumente. Aber noch gefährlicher ist der Angriff durch TTIP auf unser
demokratisches Recht, unsere Marktwirtschaft sozial und ökologisch
gestalten zu können.

Denn im TTIP-Vertrag sollen neue Sondergerichte und ein Klagerecht
speziell für Konzerne festgeschrieben werden. Scheinbar ungefährlich
ist von "Investitionsschutz" die Rede. Konzerne bekommen "gerechte und
billige Behandlung" garantiert. Doch dahinter verbergen sich knallharte
Regeln zum Schutz der politischen Interessen von großen Investoren. In
solchen Schiedsgerichten entscheiden nicht Richter, sondern
spezialisierte Anwälte, die oft vorher Konzerninteressen vertreten
haben. Verhandelt wird geheim. Entscheidungen können nicht durch
ordentliche Gerichte angefochten werden. Die Folge: Mit Verweis auf
diesen schwammigen Schutzstandard in schon bestehenden Verträgen klagt
der Energiebetreiber Vattenfall gegen den Atomausstieg in Deutschland
und verlangt über 3,7 Mrd. Euro Schadensersatz. Durch TTIP entstünde
ein umfassendes privilegiertes Rechtssystem für internationale
Investoren. Dem müssten sich alle TTIP-Mitgliedstaaten, deren
Parlamente, Regierungen und sogar Gerichte unterordnen.

Inzwischen sagt die Bundesregierung, diese neuen Schiedsgerichte seien
gar nicht nötig. Das Verhandlungsmandat gilt aber weiter. Wenn die
Bundesregierung Investor-Staats-Klagen wirklich ablehnt, muss sie auch
das Freihandelsabkommen mit Kanada ablehnen oder ändern. Der "CETA"
abgekürzte Vertrag ist zwar fertig verhandelt, aber weder vom Rat noch
vom Europaparlament beschlossen. Würde er in Kraft treten, könnten
amerikanische Konzerne von ihrem Sitz in Kanada klagen. Auch ohne TTIP.
Quebec wird bereits nach ähnlichen Regeln wegen dem Moratorium für
Fracking verklagt. Beide Abkommen gehen so gar nicht.

Mit Blick auf die europäische Erfolgsgeschichte wären solche
Sondergericht jedenfalls ein riesiger Rückschritt. Die europäische
Einigung brachte Frieden. Die soziale Marktwirtschaft brachte große
Fortschritte zu Sozialem Frieden in die Gesellschaft. Ihr geistiger
Vater, Alfred Müller-Armack, Staatssekretär unter Ludwig Erhard wollte,
dass der Markt als "tragendes Gerüst" in "eine bewusst gesteuerte, und
zwar sozial gesteuerte Marktwirtschaft" eingebettet wird.
Bürgerbewegungen und Grüne Parteien haben zum sozialen auch ein
ökologisches Gerüst dazu gebaut. In den 1970ern wehte der Saure Regen
über europäische Binnengrenzen und langsam übernahm die EU den zum
Handel passenden Umweltschutz. Giftige Chemikalien konnten
zurückgedrängt werden, aus unserer Nahrung, den Flüssen und der Luft.
Agro-Gentechnik ist bisher in Europa verboten. So wie 78 Prozent der
Menschen in Deutschland es wollen. Fortschritt kam oft langsam, war
mühsam erkämpft. Aber je mächtiger das Europaparlament wurde, desto
mehr konnte es den Willen der Bürgerinnen und Bürger durchsetzen.
Massentierhaltung, Kohle und Atom, betrügerische Banken: bisher können
wir hoffen, dass Protest und neue Mehrheiten Probleme lösen konnten.

Ob die Demokratie noch reagieren kann, steht jetzt aber auf dem Spiel.
Ein Ende des sozialen und ökologischen Fortschritts droht durch die
dauerhafte "regulatorische Zusammenarbeit", mit denen TTIP zum
"lebenden" Vertragswerk werden soll. Die Gremien, die Leben in den
Vertrag bringen sollen, klingen aber eher nach Frankenstein. Dort
sollen Lobbyisten diskutieren, ob von den Parlamenten diskutierte neue
Regeln schädlich für den Handel im Geltungsbereich des TTIP sein
könnten. Schon jetzt kritisieren Viele zu Recht den Einfluss von
Lobbyisten in Brüssel. Aber obwohl es viel mehr Lobbyisten als
Abgeordnete gibt, behält die Demokratie immer wieder die Oberhand. Wenn
TTIP käme, würden die Machtverhältnisse umgekehrt. Lobbyisten und der
US-Kongress bekämen ein Veto in europäischen Entscheidungen. Das ist
nicht die Freiheit, die wir an Europa lieben.

Eine öffentliche Debatte über diese Bedenken ist kaum möglich, weil die
laufenden Verhandlungen geheim sind. Um endlich frei diskutieren zu
können, haben wir Grünen das Verhandlungsmandat jetzt unter www.ttip-
leak.eu veröffentlicht, damit sich alle selbst ein Bild davon machen
können. Wichtige Teile der Verhandlungen bleiben aber geheim. Dabei
kennen NSA und amerikanische Verhandler die Papiere doch wahrscheinlich
ohnehin. Und warum macht die EU dann ihre Positionen in Verhandlungen
der Welthandelsorganisation und bei Welt-Klimagipfeln öffentlich?

Wir wollen die volle Transparenz der Verhandlungen um TTIP. Wir wollen
ein Verhandlungsmandat, das unsere demokratische Selbstbestimmung und
unsere sozialen und ökologischen Standards unangetastet lässt, und
keine Sonderrechte für Konzerne schafft. Deshalb werden wir die
Europawahl am 25. Mai zu einer Abstimmung über TTIP machen. Ohne neues,
viel schlankeres Verhandlungsmandat gibt es mit uns kein Abkommen. Der
Sozialdemokrat Martin Schulz und der Konservative Jean-Claude Juncker
kämpfen bei der Wahl um den Job als EU-Kommissionspräsident. Beide
werden zu einer Mehrheit Koalitionspartner brauchen. Unsere Grünen
Stimmen bekommt nur, wer die Demokratie und das Gemeinwohl in der EU
schützt.

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